Und wieder einmal stand ein Rennen bevor. Der 7. Marathon meines Lebens. Nach Berlin, Hamburg, Chicago, Paris, New York und London habe ich am Montag mit Boston die 7. tolle Stadt laufend erkundet.
Um ehrlich zu sein, freute ich mich sehr darauf. Dennoch hatte ich zum ersten Mal wirklich Respekt. Seit meinem Achillessehnenteilabriss in London konnte ich nicht so trainieren, wie ich das gewohnt bin. Normalerweise setze ich mir ein Ziel, planen mit Sorgfalt und schalte – so gut das geht – den Zufall aus. Das mache ich beruflich genauso und das entspricht meinem Charakter.
Doch diesmal ist alles anders: Eine sehr holprige Vorbereitung, die auch durch Motivationsprobleme gekennzeichnet war. Ich hatte bis jetzt immer irgendwie das Gefühl, eine für mich gesehen große Leistung vollbringen zu können. Erstmals wusste ich, dass ich weit hinter meinem Leistungsvermögen im gesunden Zustand bleiben würde. Das hatte ich die ganze Zeit im Kopf. Das ist vom Gefühl her vergleichbar mit der Aufgabe im Job, ein Angebot zu schreiben und zu wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, den Auftrag zu bekommen, sehr gering ist. „Die Chancen sind nicht gut – Lass sie uns nutzen!“ sage ich mir beruflich in solchen Momenten. Diesmal hatte ich aber – bezogen auf den Marathon – niemals das Gefühl, wirklich eine Chance zu haben.
Ehrlich gesagt: Statt 10 Wochen begann ich die Vorbereitung erst 8 Wochen vor dem Lauf. Auch die Genussmomente am Wochenende waren ausgiebiger als bei den anderen Vorbereitungsperioden. Ich hatte einfach keine Freude. 2*pro Woche beim Heilpraktiker, diverse Arztbesuche und die entsprechenden Heimanwendungen brachte ich über mich, damit die Sehne vielleicht doch noch geht, aber bis zuletzt echte Probleme.
Mein Laufkollege Malte, der über die Jahre wirklich zu einem guten Freund geworden ist, hatte ähnliche gesundheitlich Probleme und Rückschläge. Statt uns gegenseitig aufzubauen, haben wir uns mit unserem Gejammer irgendwie selbst glücklich gemacht. Mit jeder halbherzigen Trainingseinheit des einen hatte man das Gefühl, dass man mit einer 3/4tel-herzigen Einheit ja immer noch besser ist als der andere. Das ging die ersten Wochen in der Vorbereitung so. Irgendwie haben wir das Programm durchgezogen, aber irgendwie wie „Dienst nach Vorschrift!“. Jetzt weiß ich endlich einmal wie das ist. Du tust was, bist aber nicht mit dem Herzen dabei. Fertigmachen, abhaken, heimgehen und Spaß haben. Komisches Gefühl. Manche Menschen machen das ein Leben lang im Job so. Für mich nach dieser Erfahrung noch unverständlicher als vorher.
Bis wir das aber realisiert hatten, war es fast schon zu spät. Nun sind wir aber beide lösungsorientierte Menschen und haben uns dann irgendwie beim Schopf gepackt und gegenseitig motiviert. Genau in diesem Moment haben wir beide gemerkt, wie wichtig das persönliche Umfeld ist. Bist du von Menschen umgeben, die dich runterziehen, dann kommst du nie an deine 100%. Dazu zählt auch das private Umfeld. Unsere Frauen haben uns glücklicherweise schon so kennengelernt und irgendwie fanden sie den anderen Zustand eher bedenklich als das nun wieder erreichte „Normal“.
Der Trainingsplan wurde von jedem von uns an seine Bedürfnisse angepasst, optimiert, die GPS-Trainingsuhren gegenseitig in der Cloud freigegeben, sodass man sogar die Tagesschritte des Trainingspartners sehen konnte. Jede Aktivität wurde verglichen und dieser kompetitive Ansatz gab uns die Motivation zurück. Mir ist durchaus bewusst, dass das nicht bei jedem funktioniert. Bei uns schon!
6 „echte“ Wochen lagen vor uns und das für ein „Projekt“, für das man normalerweise 10 Wochen bräuchte. Im wahren Leben kann man das durch Nachtschichten wettmachen, hier leider nicht. Es war aber schön, zu sehen, dass Probleme nun wieder Chancen waren. Jeder Rückschlag wurde analysiert und Lösungen gefunden. Unsere Verletzungen waren ja nicht weg, sondern es musste auch mit diesen irgendwie gehen.
Statt Ausreden zu finden, haben wir fast auf jedes Leiden eine Antwort gefunden. Jede Idee wurde ausprobiert und so gab es in unserer nicht öffentlichen Facebookgruppe Bilder von in Eiswasser getauchten Füßen, Fotos von mit einem Tensgerät über Elektroden verbundenen Oberschenkel usw.. Unsere Frauen haben viel mitgemacht, aber zum Glück war das Tina und Nadine schon bei der Hochzeit klar.
Das Alles hat spätestens beim Hinflug im Flieger einen echten Schub ausgelöst, der sich gerade in Freude entladen hat. Wie es ausgehen wird? Egal! Nicht genügend vorbereitet? Egal! Der beste Moment, die Kurve zu bekommen, wäre vor 12 Wochen gewesen, der zweitbeste der, in dem wir realisiert haben, dass wir in der falschen Richtung unterwegs sind.
Auf geht’s! Manchmal weiß man, dass es anders einfacher und vielleicht auch besser gegangen wäre. Jetzt war es zu spät. Los geht’s! Angreifen! Nur für uns! Wir machen das Beste aus dem Moment. Und wenn es nicht klappen sollte? Dann haben wir trotzdem gewonnen: Wir sind angetreten und haben unser Bestes gegeben. Das war weitaus mehr als diejenigen, die die Welt nur von außen betrachten und wissen, dass Mitspielen sich anstrengen bedeutet, mit der Gefahr, trotzdem eine Niederlage zu erfahren, sodass sie deshalb gar nicht erst versuchen, mitzuspielen!
Am Renntag war für Zuschauer super Wetter, für Läufer war es sehr warm und – wie in Boston normal – sehr windig. Das Publikum war super und hat uns Läufer nach vorne gepeitscht. Bis Kilometer 10 war mir klar, dass das heute keine Zeit unter 3 Stunden wird und so beschloss ich, bis zur Hälfte, also bis zum Halbmarathon Gas zu geben und dann die Stimmung zu genießen und mit einer passablen Zeit und gesund ins Ziel zu kommen. So war es dann auch. Am Ende stand nach einer 1:29 zur Hälfte, eine gute 3:17h auf der Uhr. Bei der Vorbereitung und auf Basis meiner körperlichen Einschränkungen eine tolle Zeit. Fast 90 Prozent der Starter und 80 Prozent der Finisher waren langsamer unterwegs. Das war mit Sicherheit auch dem sehr heißen Wetter geschuldet.
Mein Freund Malte war aber das eigentliche Phänomen. Er hatte mit denselben Bedingungen zu kämpfen wie alle und lief Bestzeit. Trotz Blasen an beiden Füßen, trotz der viel zu warmen Temperatur und trotz der unmöglichen Vorbereitung. Er hatte einfach einen guten Tag erwischt und dann abgeliefert.
Das zeigt mir wieder einmal, wie eng die Parallelen zwischen Zielen im Privatleben und Zielen im Beruf sind:
- Wenn Du ein Ziel hast, dann kannst Du es erreichen. Was Du brauchst, ist einen Plan und Motivation, die aus Dir herauskommt. Niemand wird Dich zwingen können, über den „Dienst nach Vorschrift“ hinaus zu arbeiten. Das kannst letztlich nur Du selbst.
- Die Gefahr, „umsonst“ gearbeitet zu haben, bleibt bis zuletzt.
- Lasse andere entscheiden, was gut ist und was nicht! Ich habe zwar im Projekt nicht „meine“ 100% erreicht, die vielen Schulterklopfer für die 3 Stunden 17 Minuten zeigen mir aber, dass nicht mein selbst gesetztes Level zählt, sondern das Level meines Gegenübers. Wäre ich erst gar nicht angetreten, weil ich gedacht hätte, ich schaffe „meine“ Ziele eh nicht, dann hätte ich diese lobenden Momente gar nicht erst erfahren. Deshalb sollte ich mir wieder mehr die Frage stellen: Was sind denn die Erwartungen meiner Kunden? Wo muss ich hin, damit diese zufrieden ist!
- Gehe trotzdem immer an Deine Grenzen, vielleicht schaffst Du ja doch 100 Prozent oder mehr!
- Malte hätte mit seiner Leistung im Beruf sogar einen 200%igen Zielerreichungsbonus kassiert. Im Falle des Marathons gab es diesen in Form von Endorphinen und einem super Gefühl beim Rückflug.
- Die Hoffnung auf einen perfekten Tag bleibt immer.
- Nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Ziel gibt den Weg vor!
Nächstes Jahr steht als großes Ziel der Marathon in Tokyo an. Egal wie die Ausgangslage sein wird: Wir werden es schaffen! Was, werden wir sehen – und bis dahin erhalten wir uns die Motivation für den beruflichen Alltag.
Wie sehen Sie das? Wie ziehen Sie sich selbst aus Ihren „Löchern“? Wie motivieren Sie sich? Kann man wirklich Parallelen aus anderen Bereichen des Privatlebens auf den beruflichen Bereich finden?
Lassen Sie es mich wie immer wissen.
Liebe Grüße
Heiko